2. Netzwerktagung „Dis/Ability und Theologie“ (04./05. Mai 2024)

Am ersten Maiwochenende (04./05.05.24) drehte sich im Liborianum in Paderborn alles um die Verhältnisbestimmung von Dis/Ability und Theologie. Aus allen theologischen Fachdisziplinen traf sich das Netzwerk nach dem Auftakt an der KiHo Wuppertal im vergangenen Jahr nun zum zweiten Mal, um über aktuelle Forschungsprojekte an der Schnittstelle von Disability Studies und Theologie ins Gespräch zu kommen. An diesen zwei Tagen wurde disziplinübergreifend an die Heterogenitätsdimension Dis/Ability „herangezoomt“ und von der Perspektivenvielfalt ihrer Teilnehmer*innen profitiert, mit/ohne (un)sichtbarer Behinderung. Im Zentrum des diesjährigen Zusammenkommens von u.a. christlichen und muslimischen Theolog*innen und Inklusionsforscher*innen stand das Thema „Körper und Körpermetaphern? Dis/Abilitysensible Perspektiven auf ein ambiges Phänomen“. Dieser Mehrperspektivität kam die Eröffnung der Tagung durch die Keynote von Dr. Mai-Anh Boger (Regensburg) entgegen, welche ohne theologischen Background aus (behinderten-)pädagogischer Perspektive mit ihrem Vortrag „Ein ungebändigter Schrei – Körper und Schmerz aus der Perspektive der Dis/Ability Studies“ anhand griechischer Mythologie – Euryale und Medusa – den Schmerz als anthropologisch universale Erfahrung thematisierte und für die Sprache als Ausdruck z.T. ableistischer Erfahrungen sensibilisierte. Mit den Worten, es brauche institutionell verankerte Räume, damit es nicht bei einem Ereignis ohne Verankerung bleibe, trifft Boger ein Kernanliegen der Netzwerkorganisatorinnen, eben einen Raum zu schaffen zur theologischen Reflexion von Dis/Ability, für die gemeinsame Weiterentwicklung einer anderen Theologie neuer Interpretationen und Hermeneutiken – zwischen Dis/Ability-Sensibilität und Ableismuskritik.

Der Zielsetzung, Dis/Ability als ein Querschnittsthema in der Theologie zu etablieren, wurde das Tagungsprogramm gerecht. So wurde sich aus homiletischer, systematischer, historisch- sowie biblisch-theologischer Instanz dem Thema angenommen. Aus religionspädagogischer Perspektive geschah die Auseinandersetzung unter Fokussierung sowohl des schulischen als auch des pastoralen Kontextes. Aus homiletischer Perspektive setzte sich zunächst Johannes Ebbertz (Bochum) unter Einbezug des literaturwissenschaftlichen Terminus der „narrative prosthesis“ (Mitchell/Snyder[1]) mit der Fragestellung auseinander, welche Probleme und Potenziale ein metaphorischer Gebrauch behinderter Körper in der Predigt mit sich bringe. Dr. Marie Hecke (Wuppertal) konzentrierte sich am Beispiel von 2 Kor 12,6-10 auf die Körpererfahrungen des Paulus, präsentierte Impulse für eine disabilitysensible Homiletik (Disabled Proud) und knüpfte damit an ihren Vortag aus dem Vorjahr an, in welchem sie bereits eindrücklich die Bedeutung von Behinderungsbildern und -narrativen heraus- sowie ein Korrekturprogramm für eine intersektionale Homiletik vorstellte. Mit dem Vortrag von Rebecca Grantz (Dortmund) zur De-/Konstruktion von Behinderungsbildern in der Kinder- und Jugendliteratur und der Analyse des Bilderbuches „Ich bin wie der Fluss“[2] in Konzentration auf die dem literarischen Werk von Jordan Scott und Sydney Smith inhärente Körpermetaphorik, verlagerte sich die Plenumsdiskussion auf den religionspädagogischen Kontext. Heike Beckedorf (Hannover) gelang eine erfahrungsgeleitet-kritische Annäherung an pastorale Körper- und Rollenverständnisse, indem sie u.a. Wege aufzeigte, die sie als Pastorin mit körperlicher Beeinträchtigung für den Gottesdienst entwickelte. Beispielhaft sei die Segnung von Konfirmand*innen genannt; durch Handauflegen eines zuvor ausgewählten nahestehenden Familienmitgliedes, der Pat*in oder Freund*in, während von pastoraler Ebene die Segensworte gesprochen werden. In die systematisch-theologische Auseinandersetzung führte der Vortrag von Dr. Julia Drube (Kassel) ein, welche wiederum aufzeigte, inwiefern die Schöpfungstheologie Karl Barths einen produktiven Beitrag zu einer dis/abilitysensiblen Auseinandersetzung mit der geschöpflichen, leiblichen Verfasstheit und ihrer Vulnerabilität leisten kann und jeden Menschen ausnahmslos als Teil Gottes guter Schöpfung denkt. Eine Vertiefung systematisch-theologischer Überlegungen war möglich durch Beiwohnen der Fachgruppe „Systematische Grundfragen“, in welcher erst Eva Bohne (Hamburg) aus der Perspektive der Behinderung zur Kritik Dorothee Sölles an einer traditionell christlichen Interpretation von Leiden referierte, später PD Dr. Nadine Hamilton (Regensburg) Heilsein und Teilsein akzentuierte und Impulse für eine Theologie versehrten Lebens aus systematisch-theologischer Perspektive formulierte. Zeitgleich führten im Nebenraum die Beiträge von Prof. Dr. Heidrun Dierk (Heidelberg) und Dr. Meike Rieckmann-Berkenbrock (Gießen/Dortmund) zur Diskussion im Kontext der Disability History. So konzentrierte sich Prof. Dr. Heidrun Dierk in ihrem Vortrag auf das Thema Körper und Körperbeziehung bei religiösen Frauen im Mittelalter, während Dr. Meike Rieckmann-Berkenbrock körperliche Zuordnungen zwischen Disziplin, Krieg und Religion im 16. und 17. Jahrhundert aufdeckte. Den Bogen zur biblisch-hebräischen Diskussion des Tagungsthemas schlugen am Folgetag Angelo Comino (Wien) und Sarah Döbler (Marburg). Angelo Comino fokussierte sich in seinem Vortrag „Embodied Vulnerability: Unraveling Disability through Figures of Speech“ auf rhetorische Funktionen und Kontexte von Behinderungs- und Körpermetaphern und wagte in diesem Zuge u.a. eine Strukturierung von Begriffen, die auf Behinderungserfahrungen hindeuten, in Form von Clustern. Sarah Döbler konzentrierte sich in ihrem Vortrag auf die Behinderungsmetaphorik Jesajas unter Anwendung der kognitiven Metapherntheorie (Johnson/Lakoff[3]). So gab sie den Teilnehmenden Einblick in die Analyse jesajanischer Sprachbilder am Beispiel der Körpermetapher des Menschen als Gefäß Gottes aus dis/abilitykritischer Perspektive und schenkte dem Plenum im Anschluss an ihren die Tagung abschließenden Vortrag eine spannende Diskussion. 

Prof. Dr. Katharina Kammeyer (Institut für Evangelische Theologie, TU Dortmund) und Anna Neumann (Institut für Evangelische Theologie, Universität Paderborn), Dr. Marie Hecke und Prof. Dr. Claudia Janssen (Institut für feministische Theologie, Theologische Geschlechterforschung und soziale Vielfalt, KiHo Wuppertal) haben in der Kooperation nun dreier Standorte dafür gesorgt, dass das Netzwerk „netzwerken“ kann und einen Raum geschaffen für wissenschaftliche Vorträge sowie anschließende Diskussionen, Austauschmöglichkeiten in Kaffeepausen und die Gelegenheit, interessengeleitet Tagungseindrücke nachwirken zu lassen im Rahmen eines anschließenden World Cafés. Aus der Diskussion in Kleingruppen zu weiterführenden Themenschwerpunkten, die sich im Verlauf der beiden Tage herauskristallisierten, haben sich z.T. bereits Fachgruppen gebildet. So freut sich das Netzwerk darüber, im Gespräch zu sein sowie im Hinblick auf das Wiedertreffen 2026 im Gespräch zu bleiben. Es kann folglich bereits ein „Save the Date“ ausgesprochen werden für die 3. Netzwerktagung am 19./20. Juni 2026 in Dortmund. Die Mitwirkung und das Engagement von (Nachwuchs-)Forscher*innen aus allen theologischen Disziplinen, religiös vielfältiger Perspektiven, Inklusionsforscher*innen und Empiriker*innen ist besonders gewünscht.

Sollte der Tagungsrückblick an der Mitarbeit in der Fachgruppe für Praktische Theologie Interesse geweckt haben, melden Sie sich gerne bei Johannes Ebbertz (johannes.ebbertz@ruhr-uni-bochum.de). Schreiben Sie Marie Hecke (marie.hecke@kiho-wuppertal.de) zudem gerne eine kurze Mail, wenn Sie in den Mailverteiler des Netzwerks aufgenommen werden möchten. 

Blogbeitrag von Rebecca Grantz

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[1] Mitchell, David T./Snyder, Sharon L., Narrative Prosthesis. Disability and the Dependencies of Discourse, Michigan 2000.

[2] Scott, Jordan/Sydney, Smith, Ich bin wie der Fluss, Stuttgart 2021. 

[3] Lakoff, George/Johnson, Mark, Leben in Metaphern, Heidelberg 102021.

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