Der Band „Dialog und Transformation“ aus der Sicht der InReV

Gotthard Fermor, Thorsten Knauth, Rainer Möller, Andreas Obermann (Hg.), Dialog und Transformation. Pluralistische Religionspädagogik im Diskurs. Waxmann 2022.

Aus der Sicht der inklusiven Religionspädagogik der Vielfalt bearbeitet dieser Band eine Heterogenitätsdimension, nämlich die Vielfalt der Religionen, durch die sich Menschen voneinander unterscheiden. Insofern kann Dialog und Transformation durchaus als Vertiefung und Bereicherung von InReV gelesen werden, denn hier wird religiöse Herkunft als eine neben sozialen, geschlechts- und körperbezogenen Faktoren wesentliche Kategorie der Religionspädagogik der Vielfalt erstmals umfassend und differenziert analysiert. Was Dialog und Transformation in besonderer Weise kompatibel macht zu InReV ist die in diesem Diskurs zugrunde gelegte positive Wertung der Vielfalt von Religionen und die machtkritische Dekonstruktion von theologisch-religionspädagogischen Tendenzen, andere Religionen (zugunsten der eigenen) herabzuwürdigen und die Unterschiede zwischen den Religionen als trennende Grenzen zu deuten.

Um dies auch theoretisch zu fundieren, greift Dialog und Transformation auf die Grundannahmen der pluralistischen Religionstheologie zurück. Diese theologische Tradition ist im angelsächsischen Sprachraum weithin etabliert, wird aber in der deutschen Theologie eher ignoriert bzw. diskreditiert. 

Pluralistische Religionstheorie geht, kurz gesagt, davon aus, dass alle Religionen in kulturell unterschiedlicher Weise das (an sich unaussprechbare und unfassbare) Transzendente artikulieren und dass insofern keine Religion Wahrheit und Heil allein für sich beanspruchen kann. Alle Religionen stehen in prinzipiell gleichem Modus in Beziehung zur Transzendenz, die sie allerdings in differenter Weise in religiöse Praxis ausformen und in theologische Sprachgestalten übersetzen. Insofern wirft die pluralistische Religionstheologie einen kritischen Blick auf alle Versuche, die Beziehung zwischen den Religionen exklusivistisch (nur in meiner Religion gibt es Wahrheit und Heil, in allen anderen nicht) oder inklusivistisch (in meiner Religion sind im Grunde alle anderen religiösen Traditionen aufgehoben) zu deuten.

Religionspädagogisch gewendet bedeutet dies, dass religiöses Lernen als eine gemeinsame Suchbewegung religiös unterschiedlich verorteter Subjekte im Rahmen von fundamentalen anthropologischen Grundfragen zu verstehen ist. Die gemeinsame Beschäftigung mit einer solchen „Tiefentheologie“ , die allen partikularen religiösen oder konfessionellen Antworten vorausliegt, fordert didaktisch den Modus des dialogischen Lernens ein, der eine Begegnung auf Augenhöhe einschließt, in dem Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beteiligten Religionen zum Ausdruck kommen, ohne dass Unterschiede zu Abgrenzungen führen. Das gemeinsame Suchen der religiös Verschiedenen verändert alle Beteiligten und führt zu einem „neuen Wir“, in dem unterschiedliche Perspektiven einander bereichern und Gemeinschaftlichkeit konstituieren. In diesem Sinne ist der Titel des Diskurses „Dialog und Transformation“ zu verstehen.

Der Diskurs der pluralistischen Religionspädagogik nahm seinen Ausgang bei einem interreligiösen Projekt, in dem Religionspädagog*innen jüdischer, christlicher und islamischer Provenienz ergebnisoffen gemeinsam an einer interreligiösen Religionspädagogik arbeiteten. Ergebnis dieses Projektes war das Diskussionspapier „Dialog und Transformation. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Religionspädagogik“, das 2020 veröffentlicht wurde. In dem hier besprochenen Band wurden Kolleg*innen aus Religionspädagogik und Theologie eingeladen, aus unterschiedlichen Perspektiven kritisch und konstruktiv zu dem Diskussionspapier Stellung zu beziehen. Ein Ergebnis dieser Stellungnahmen ist, dass sich eine pluralistische Religionspädagogik nicht nur auf die abrahamitischen Religionen beschränken darf, wie dies aus vorwiegend pragmatischen Gründen im Ausgangsprojekt geschehen ist. Deshalb werden in diesem Band auch Perspektiven aus buddhistischer, hinduistischer und der Baha´i -Tradition integriert.

Aus der Perspektive von InReV ist anzumerken, dass das Konzept der pluralistischen Religionspädagogik noch mehr als bislang auf die sozialen, geschlechtsbezogenen und ökonomischen Kontexte eingehen muss, in denen sich religiöses Lernen vollzieht. In Migrationsgesellschaften wie der deutschen, die von Herrschaftsverhältnissen und Ungleichheiten in vielfältigen Dimensionen gekennzeichnet sind, begegnen sich Religionen eben nicht auf Augenhöhe. Der intersektionale Ansatz von InReV ist insofern eine Herausforderung für die pluralistische Religionspädagogik, ihre Analyseinstrumente zu schärfen und religionsdidaktisch umzusetzen.

Ein Beitrag von Rainer Möller.

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