Rezension: das baugerüst. Zeitschrift für Jugend- und Bildungsarbeit. Ausgabe 2/2022. Thema Rassismus

Die Zeitschrift das baugerüst setzt sich in ihrem Themenheft 2/2022 mit Rassismus in der evangelischen Jugend- und Bildungsarbeit auseinander.

Die Autor:innen reflektieren selbst- und institutionskritisch rassistische Handlungsmuster. Ein Schwerpunkt wird dabei auf ungewollten und unbewussten Rassismus gesetzt. Das Leitmotiv lautet: Wir möchten eine offene, tolerante und rassismusfreie Kirche und Jugendarbeit sein – leider gelingt es uns nicht immer.

Das Motiv der kirchlichen Milieuverengung ist nicht neu. In einigen kirchlichen Studien wurde darauf hingewiesen. Beispielsweise machen die Konfirmand:innenstudien darauf aufmerksam, dass, selbst wenn unterschiedliche Milieus in der Konfirmand:innenarbeit anwesend sind, Angebotsform und -inhalt nur für bestimmte Jugendliche (v.a. Bildungsprivilegierte und Mädchen) interessant sind (Schweitzer et al., 2015, S. 199-204).

Einen neuen Aspekt in die Debatte der Milieuverengung bringt dieses Themenheft durch die Thematik des Rassismus ein. Persönliche Sichtweisen (Annika Falk-Clausen: „Ich bin doch kein*e Rassist*in!“) werden von Onna Buchholt und Olga Janzen durch empirische Erkenntnisse der aje-Studie „Islam- und muslim*innenfeindlichen Einstellungen in der Evangelischen Jugend“ (aej, 2022) ergänzt. Diese empirische Studie zeigt Bezüge zwischen rassistischen Vorurteilen und religiösen bzw. politischen Einstellungen auf. Anregungen zur Minderung von Vorurteilen werden gegeben: rassismuskritische Bildungsarbeit (Wissen über Diskriminierung), Förderung politischer Selbstwirksamkeit und Förderung interreligiöser Beziehungen. Besonders spannend an den dargestellten Ergebnissen der aje-Studie ist für mich das Forschungsergebnis, dass reine interreligiöse Begegnungen keine Auswirkungen auf die Minderung von Diskriminierung haben. Allerdings, so die Studie, wirkt sich die Arbeit an einem gemeinsamen Thema in einem interreligiösen Team auf die Minderung von Vorurteilen aus.

Differenziert und reflektiert berichtet Sarah Vecera im Interview von ihren eigenen Erfahrungen als Person of Colour mit Rassismus und den von ihr beobachteten eingeschränkten Heterogenitätserfahrungen in Kirche, Theologie und Jugendarbeit.

Multiperspektivische Vertiefungen zu Missionsgeschichte (Gottfried Rösch), Jugendarbeit (Benedix Balke) und Kinderbüchern (Annika Falk-Clausen) ergänzen die Grundlagenbeiträge. Spannend wird es für mich, wenn Benedix Balke in seiner Problemanalyse der fehlenden Partizipation von evangelischen Jugendlichen mit (eigener oder familiärer) Migrationsgeschichte in der evangelischen Jugend auf die global unterschiedlich geprägten Formen des Christseins hinweist. Migrantische Frömmigkeitsstrukturen würden in Deutschland, welches von einer liberalen Auslegung des christlichen Glaubens geprägt sei, wohl eher als pfingstlerisch-charismatisch oder evangelikal wahrgenommen werden – nicht aber als landeskirchlich-evangelisch.

Besonders positiv empfinde ich, dass die Zeitschrift nicht bei der beginnenden Selbstanklage stehen bleibt. Den Abschluss bilden konkrete best practice Modelle für die Arbeit in Gemeinden (Miriam Meier, Barbara Matt) und Schule (Marcel Renner). Besonders die Vorstellung von Netzwerken, die sich mit der Diskriminierungskategorie Rassismus aktiv auseinandersetzen und sich interkulturell öffnen, sind für mich Leuchtturmprojekte. Die Angabe von Netzwerkadressen erleichtert es den Leser:innen sicherlich, sich selbst aktiv mit ihrer Kirchengemeinde der Thematik zu stellen.

Insgesamt ist die Zeitschrift für mich spannend und gibt Einblick in den Diskurs der Jugend- und Bildungsarbeit. Gelungen empfinde ich, dass ein vereinfachtes Narrativ zum kirchlichen Rassismus (Problem: kirchliche Milieuverengung; Lösung: kulturelle Öffnung) zwar an einigen Stellen auftaucht, insgesamt die Problematik jedoch differenziert beleuchtet wird und somit vielfältige Ansatzpunkte benannt werden, Rassismus in evangelischer Jugend- und Verbandsarbeit zu begegnen.

Wer mehr zu dem Thema wissen möchte, dem empfehle ich auf folgenden Seiten zu stöbern: https://rassismusundkirche.de/ (Initiative der VEM), https://landkarte-der-ermutigung.de/ (Karte von Gemeinden mit interkultureller Öffnung, verantwortet von Universität Osnabrück und EKD), https://narrt.de/ (Netzwerk anisemitismus- und rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie) und https://globallocal.de/ (interkulturelle Begegnungen vor Ort gestalten, Aktion des ejw Württemberg). Als Leseempfehlung wird im baugerüst das Buch „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ (2022) von Sarah Vecera benannt.

Felicitas Held ist Sozial-, Gemeinde- und Religionspädagogin und als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie, Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts der Universität Bamberg tätig.

Literaturverzeichnis:

Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (Hg.) (2022). Islam- und muslim*innenfeindliche Einstellungen bei jungen Menschen und die Rolle von Religiosität, Kontakt und politischer Orientierung. eine empirische Studie. Online unter: https://kompetenznetzwerk-imf.de/content/uploads/2022/06/knw-broschure_studie_aej_screen.pdf?x85269

Schweitzer, F., Maaß, C. H., Lißmann, K., Hardecker, G. & Ilg, W. (Hrsg.) (2015). Konfirmandenarbeit im Wandel – Neue Herausforderungen und Chancen. Perspektiven aus der zweiten Bundesweiten Studie. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Ein Beitrag von Felicitas Held.

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