Vielfalt braucht Unterstützung!

Wer den Film „Systemsprenger“ (2019) gesehen hat, weiß: Alle bemühen sich, aber es gelingt nicht, die neunjährige Benni in den Schulalltag zu integrieren. Das System ist zu eng.

Diesen Eindruck hatte ich auch, als ich vor kurzem mit einer Schulpsychologin einer Grundschule in Berlin sprach. Die Lehrkräfte, die Schulleitung, die Schulpsychologin, die Sozialarbeiterin dieser Grundschule tun ihr Bestes, machen Überstunden, versuchen allen Kindern gerecht zu werden. Und dennoch: Die Schule kann die Vielfalt der Aufgaben und die Vielfalt der Kinder und Eltern auf die Dauer nicht mehr pädagogisch angemessen auffangen. Was den Schulalltag immer schwieriger macht, ist die Vielzahl der Anforderungen, für die es an angemessener Unterstützung mangelt.

Diese Berliner Grundschule ist kein offizielles Förderzentrum, aber 29,5 % der Kinder haben einen anerkanntem oder in Antragstellung befindlichen Förderbedarf. Das sind 168 von 570 Kindern. Weitere Anträge sollen gestellt werden, sind aber aus Zeitmangel noch liegen geblieben. Kinder, die amtsärztlich als nicht schulreif gelten, besuchen diese Schule, zudem viele Flüchtlingskinder, die traumatisiert sind. Halbjährlich kommen zwei bis fünf neue Kinder in jede Klasse, die die deutsche Kultur und Sprache noch ganz neu lernen müssen. Pro Woche finden drei bis fünf Kinderschutzgespräche (§ 8a SGB VIII) und drei bis neun Schulhilfekonferenzen statt.

Es gibt einen Sonderpädagogen an dieser Grundschule, der mit reduzierter Stundenzahl arbeitet. Der Lehrkräftemangel wird durch Personal ausgeglichen, das in keiner Weise pädagogisch ausgebildet ist. Die ausgebildeten Lehrkräfte benötigen somit ihrerseits Zeit zur Anleitung und Beratung. Jährlich neue Formulare müssen ausgefüllt werden, zum Teil zusammen mit den Eltern. Testverfahren sollen in die Schule verlagert werden. Fachärztliche Termine sind kaum zu bekommen. Die landesweite Einführung des Schulessens, das von den Kindern dieser „Brennpunktschule“ gerne genutzt wird, hat monatelang Kräfte gebunden, die nicht in pädagogische Arbeit einfließen konnte.

Das Gespräch mit der Schulpsychologin der Berliner Grundschule kreiste auch um die Kinder und ihre Lebensbedingungen. Um Gewalt in Elternhäusern, aber auch um gelingende Gespräche und gute Momente im pädagogischen Alltag. Hier mangelt es nicht am Willen zur Inklusion! Hier mangelt es bei vielen auch nicht am pädagogischen Wissen und Können. Hier mangelt es an personeller und räumlicher Ausstattung und an Strukturen der Unterstützung.

Längst wissen wir, dass Inklusion angemessene Bedingungen braucht: Team-Teaching, unterstützende Dienste und Personal für Diagnostik und Beratung, außerdem Zeiten und Räume für den pädagogischen und psychologischen Austausch sowie für die gemeinsame Planung der Unterrichtsprozesse. Inklusive (Religions)Pädagogik der Vielfalt ist möglich und notwendig. Diejenigen, die sie verwirklichen, brauchen aber auch gesellschaftliche Anerkennung. Diese muss sich dringend in der Bereitstellung finanzieller Mittel erweisen.

Annebelle Pithan

Annebelle Pithan ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Comenius-Institut,  Münster. Schwerpunkt: Inklusive Religionspädagogik der Vielfalt u.a., mitverantwortlich für die Internetplattform: www.inrev.de; s. auch: https://comenius.de/person/pithan/

Ein Kommentar

  1. Danke! Das regt zum Nachdenken an und unterstreicht zugleich den großen Bedarf an Unterstützung. Diese ist und wird wohl noch länger Dreh- und Angelpunkt für gelingende Inklusion sein. Unterstützung beginnt dabei schon mit der Wertschätzung derjenigen, die sich dafür einsetzen und tagtäglich ihre Energie, Ideen und Leidenschaft investieren. Das ist oft schon mehr als das, was manche Aktuere zurzeit erleben. Unterstützung hört aber lange nicht an diesem Punkt auf. Soll ernsthaft Inklusion Wirklichkeit werden, so müssen Strukturen so gestaltet werden, dass sie Inklusion ermöglichen. Gelder bereitgestellt werden, die den erhöhten Bedarf abdecken und ein lebenswertes Leben für die Akteur*innen und die Schüler*innen sichern. Hier gilt es auch zu konkretisieren, inwiefern wir als Unterstützer*innen der Kolleg*innen vor Ort wirken können.

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